Bundesfreiwilligendienst für ukrainische Geflüchtete in der Jüdischen Gemeinde Dessau

Das Leben in der Jüdischen Gemeinde Dessau ist immer sehr aktiv. Ab früh morgens sind da viele Leute – einige brauchen Hilfe mit der Übersetzung von Briefen oder mit ihrem Handy, andere kommen, um einfach miteinander zu sprechen. Die meisten Mitglieder der Gemeinde stammen aus der ehemaligen Sowjetunion, sie sind nicht jung und benötigen Unterstützung im Alltag oder bei Sprachbarrieren. Darum ist für sie ihre Gemeinde ihre ganze Welt.

Dr. Alexander Wassermann steht der Jüdischen Gemeinde zu Dessau seit 20 Jahren vor. Die Tür seines Büros ist immer offen. Wir unterbrechen unser Gespräch fast jede Minute. Jemand kommt, um Hallo zu sagen, ein anderer erzählt, was einem Mitglied passiert ist und welche Hilfe jetzt benötig wird. Herr Wassermann weiß über jeden Bescheid, wie in einer Familie.

Wir sind eine Familie, Herr Wassermann lacht.  Und wir fühlen uns genauso.

Die Jüdische Gemeinde in Dessau hat 300 Mitglieder. Das ist eine große Familie!

Die Gemeinde ist in der Stadt auch sehr aktiv. Sie haben ein jüdisches Theater, eine Tanzgruppe und einen Seniorenklub.

 

Im Zusammenleben von Jüdinnen und Juden und der Mehrheitsgesellschaft setzt sich Herr Wassermann immer für ein gutes Miteinander ein. Zum Beispiel ist er auch Vorsitzender des Jüdischen Kulturvereins in Dessau und hat den interkulturellen „Deutsch-Jüdisch-Muslimischen Dialog über Musik“ organisiert. Dieser 67-jährige macht sehr viel für den interkulturellen Austausch und den interreligiösen Dialog sowie für die Bewahrung und Belebung des jüdischen Erbes der Stadt Dessau-Roßlau.

In der der Jüdischen Gemeinde organisieren wir derzeit 13 Plätze für Bundesfreiwillige. Das ist eine gute Möglichkeit für unsere Mitglieder oder für neue Migranten sich in Deutschland zu integrieren.

Die Freiwilligen sind zum Großteil im sozialen Bereich der Gemeinde aktiv. Das heißt, sie helfen Menschen im Haushalt, beim Einkaufen, unterstützen bei Amts- und Arztterminen oder helfen in der Synagoge.

Dr. Alexander Wassermann hat für seine großartige Arbeit im Bereich Integration, Ehrenamt und interkulturelle Verständigung das Bundesverdienstkreuz erhalten.

Den Krieg in der Ukraine empfindet Dr. Alexander Wassermann wie eine persönliche Katastrophe. Darum hat er entschieden, den Bundesfreiwilligendienst in seiner Gemeinde für ukrainische Geflüchtete zu ermöglichen.

Es sind jetzt drei neue Bundesfreiwillige, die aus der Ukraine geflohen sind und in der Gemeinde ehrenamtlich helfen. Irina, Iryna und Natalia. Wir trinken Kaffee im Büro des Vorsitzenden. Sie erzählen ihre Geschichten. Geschichten über den Krieg…

 

Natalia Tsekhosh ist 52, sie kam aus Luzk nach Deutschland im März 2022. In Dessau hat sie Verwandte, darum kam sie dorthin. Sie hat drei Kinder, aber in Deutschland ist sie allein. Eine Tochter ist jetzt in Spanien, die zweite in Slowenien und die dritte hat entschieden, in die Ukraine zurückzufahren.

 

 

Natalia ist Psychologin und Physiotherapeutin von Beruf. In der Sporthalle, wo sie mit den anderen Geflüchteten aus der Ukraine untergebracht war, hatte jemand Natalia vorgeschlagen, sich an Herrn Wassermann zu wenden. Er habe Sportmedizin studiert. Vielleicht wisse er etwas.

Als ich hierher ging, wusste ich nicht genau, wie es weitergehen soll. Ich wurde hier sofort aufgenommen. Es war wie ein Geschenk vom Himmel.

Seit 1. Juli unterstützt Natalia das BFD-Team der Gemeinde und besucht einen Integrationskurs.

 

Iryna Perepelytsia kam aus Uman mit ihrem Mann und Kind. Ihr Sohn ist schwerbehindert und kann nicht ohne Hilfe gehen. In Uman konnte ihr Sohn nur sehr selten die Wohnung verlassen, weil das Haus, in dem sie wohnten, nicht behindertengerecht gebaut war. Es gibt kaum barrierefreien Wohnraum in der Ukraine. Auch der öffentliche Raum, wie Bus- und Bahn-Haltestellen oder Schulen sind sehr selten barrierefrei und integrativ. Daher weiß Iryna:

Mein Sohn kann nur hier mit seinem Leben etwas anfangen. Deshalb tue ich mein Bestes, um in Deutschland zu bleiben.

Iryna besucht bereits einen Integrationskurs und ist bereit zu arbeiten. Sie ist Näherin von Beruf. Sie ist überzeugt, sie wird es schaffen.

 

Irina Lytvyn kam aus Schytomyr.

Sie ist Friseurin und versteht gut Deutsch. Sie ist vor 3 Monaten mit ihrem jüngsten Kind nach Deutschland geflohen. Ihr Mann musste mit ihrem älteren Sohn in der Ukraine bleiben. Wegen des Kriegs dürfen Männer das Land nicht verlassen. Ihr Mann hat das Auto vollgetankt und sobald es möglich ist, wird er mit dem Sohn nach Deutschland kommen.

Die Frauen weinen. Ich auch. Das ist der Krieg.

 

 

 

 

Text: Rymma Fil, Fotos: Marcus-Andreas-Mohr