„BFD …und dann?“ Im Gespräch mit Rasha

Die Sonne scheint und Vögel zwitschern in den Bäumen, als ich mich an einem Tag im Frühling mit Rasha treffe. Sie hat im letzten Jahr einen Bundesfreiwilligendienst im Krokoseum, einem Kinder-Kultur-Treff, gemacht. Jetzt, ein dreiviertel Jahr später, interessiert mich, was sie jetzt macht, wie ihr Weg in Deutschland weitergegangen ist.

Was wird eigentlich aus „unseren“ Bundesfreiwilligen?

In unserem Projekt „Servicestelle Bundesfreiwilligendienst – integriert in Sachsen-Anhalt“ begleiten wir Menschen unterschiedlicher Altersstufen und Hintergründe ein Jahr lang im Bundesfreiwilligendienst. Die meisten unserer Teilnehmenden sind erst vor einigen Jahren nach Deutschland gekommen und nutzen den BFD für sich, um die Sprache besser zu lernen und das Arbeitsleben in Deutschland mit seinen ganz eigenen Gepflogenheiten und Regelungen kennen zu lernen. So steigen ihre Chancen auf einen Job und auf eigenes Einkommen. Durch unsere Seminare lernen sie auch viel, was ihnen weiterhilft, z.B. Verweisungswissen für die Beratungslandschaft in Halle, Grundlagen der Kommunikation oder zum Umgang mit Konflikten. Sie entwickeln sich in diesem Jahr also persönlich und fachlich weiter und verabschieden sich nicht selten mit einem konkreten Plan, wie es bei ihnen weitergehen soll.

Nach Abschluss des BFD erfahren wir in der Regel nicht mehr, wie es mit ihnen weitergeht, weil dann schon wieder neue Bundesfreiwillige ins Projekt kommen und in Einsatzstellen vermittelt, begleitet und weitergebildet werden wollen. 
Doch zu einigen unserer Ehemaligen bleibt doch ein sporadischer Kontakt. Rasha zum Beispiel treffe ich manchmal im Viertel, wenn sie den Hund ihrer Nachbarin ausführt, denn Rasha mag nicht nur Kinder, sondern ist auch äußerst tierlieb – und immer hilfsbereit.

Berufswunsch: Juristin

Rasha hat schon in ihrer Heimat in Syrien anspruchsvolle Tätigkeiten ausgeübt. Nach dem Abitur hat sie mit psychisch beeinträchtigten Menschen gearbeitet. Später begann sie ein Jurastudium. Doch nach 2 Jahren konnte sie aufgrund des Krieges nicht weiterstudieren und floh aus ihrer Heimatstadt Aleppo. 2018 kam sie nach Halle.

Ich frage Rasha, wie sie überhaupt zu ihrem BFD kam. Sie erzählt, dass ein Freund sie darauf brachte und sie schnell von der Idee begeistert war. Sie wollte gern aktiv sein, etwas tun, die Sprache lernen, Menschen kennen lernen. Und so dauert es nicht lange, bis sie bei uns den Vertrag unterschrieb und mit dem Krokoseum auch eine Einsatzstelle fand, in der sie glücklich war. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, beruflich in die pädagogische Richtung zu gehen. Aber sie war sich nicht sicher und wollte erst praktische Erfahrungen sammeln, auch zu pädagogischen Konzepten in Deutschland. Das Krokoseum gefiel ihr auch, weil es Teil der Franckeschen Stiftungen mit ihrer beeindruckenden Geschichte des Waisenhauses war.

Zu Rashas Aufgaben im Krokoseum gehörte die Betreuung der Kinder bei den unterschiedlichsten Aktivitäten im Haus wie Spielen, Basteln, Experimentieren, Kochen und Backen, Geschichten schreiben oder Handarbeiten, oder die Begleitung von Ausflügen. Neu war für Rasha die Vielzahl der Regeln im Arbeitsleben, z.B. die klar geregelten Arbeits- und Pausenzeiten. Aus Syrien war sie weniger starre Regeln gewöhnt, es wurde eher nach aktuellem Bedarf und Ermessen entschieden, was wann passiert.

Reisefestival, Museumsnacht und eine tanzende Diva

Die Mitarbeit im Krokoseum eröffnete Rasha noch viele weitere Einblicke und Erlebnisse. Mit Begeisterung erinnert sie sich an das ehrenamtlich organisierte Reisefestival Dialle, das in Kooperation mit dem Krokoseum auf die Beine gestellt wurde, an die Museumsnacht, und an das Tanzfest „Diva – Eine Stadt tanzt“. Ihre Chefin hatte sie zu einer Aufführung eingeladen, und als im Anschluss zum Mittanzen im Projekt eingeladen wurde, war die neugierige und kontaktfreudige Rasha sofort dabei. Über ein halbes Jahr waren 110 Freiwillige dort an der Produktion beteiligt, und Rasha ist noch heute begeistert, auch über die vielen Kontakte mit ganz unterschiedlichen Menschen, die sie dort knüpfen konnte.

„Mama, Papa, hört Euch das mal an“

Doch das ist noch längst nicht alles, was die unternehmungslustige junge Frau in ihrer neuen Heimatstadt Halle ausprobiert hat. Über eine andere BFDlerin, die ihren Einsatz bei Radio Corax machte, kam Rasha zu der internationalen Radiosendung „Common voices“ die komplett von Migrant*innen geplant, produziert und gesendet wird. Dort lernte Rasha viel über Radiotechnik, Sprechtraining, Teamarbeit und über die Inhalte, die in den Sendungen behandelt wurden, zum Themen der Stadt Halle oder der Rassismus, mit dem hier leider alle Menschen konfrontiert sind, die etwas dunklere Hautfarbe haben oder mit Akzent sprechen.

Von einer Sendung, bei der sie mitgewirkt hatte, schickte sie ihren Eltern in Syrien einen Link: „Hört Euch das mal an! Ich habe in Deutschland eine Radiosendung gemacht!“
Ein einwöchiges Seminar am Bodensee mit internationalen Teilnehmenden und vielen spannenden Workshops empfand Rasha als geradezu himmlisch – „Es war wie Honeymoon!“

Als ausgemachte Tierfreundin unterstützte Rasha auch den Tierschutzverein Halle bei zahlreichen Mitmach-Einsätzen, und weil so viel begeistertes Tun auffällt, erhielt Rasha 2019 sehr verdient den Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt für ihr herausragendes individuelles Engagement.

Durch die Tätigkeit im Krokoseum und im TiQ, einem Treff für etwas ältere Kinder, war in der Zwischenzeit Rashas Gewissheit gewachsen, dass eine Ausbildung im sozialen Bereich das richtige für sie wäre, und so begann sie im vergangenen August eine Ausbildung zur Erzieherin. Die Schule gefällt ihr gut, auch wenn es ihr noch schwerfällt, die Fachsprache im Unterricht zu verstehen. „Ich muss mich einfach dreimal mehr konzentrieren als alle anderen, weil ich im Kopf alles übersetzen muss, und viele Fachbegriffe sind für mich völlig neu.“. Trotzdem macht die Ausbildung ihr Spaß und sie ist sich sicher, das Richtige gefunden zu haben. Sie ist dankbar für die Unterstützung, die ihr diesen Weg ermöglicht hat, auch durch unser Team – danke schön! – und durch ihren Freund, der sie auch durch schwierige Phasen begleitet.
Besonders freut Rasha sich übrigens auf ihr 3. Ausbildungsjahr – neben allem ehrenamtlichen Engagement und tollen Begegnungen kann sie dann endlich zum ersten Mal seit langem wieder ihr eigenes Geld verdienen.

„Hier werden die Kinder früh zur Selbstständigkeit erzogen.“

Durch den BFD und ihre anderen freiwilligen Tätigkeiten hat Rasha die Möglichkeit gehabt, sich viele soziale, gesellschaftliche und pädagogische Aspekte des Lebens in Deutschland anzuschauen. Wir kommen auf die Unterschiede zwischen Kindergärten in Syrien und in Deutschland zu sprechen. „Was mir aufgefallen ist: In Deutschland werden die Kinder schon ganz früh zur Selbstständigkeit erzogen, dass sie alles selbst machen können. In Syrien machen wir Erwachsenen alles für die Kinder, dadurch lernen sie es auch erst später. Mir gefällt es so, wie es in Deutschland ist!“. Eins ist sicher: Rasha wird durch ihren großen Erfahrungsschatz eine Bereicherung für jede Einrichtung sein. Wir wünschen ihr von Herzen alles Gute und sind gespannt auf zukünftige Gespräche mit ihr.